Es sind 11 Werke von Édouard Vuillard online. Es sind 1824 Malereien online.
Diese Ölskizze ist eine Studie zu Edouard Vuillards im gleichen Jahr entstandenen, grossformatigen Hauptwerk «Le Grand Intérieur aux six personnages» (ebenfalls Kunsthaus Zürich). Laut Guy Cogeval zeugt Vuillards fertiges Gemälde von der Ehekrise von Vuillards Schwester Marie und ihrem Mann Kerr-Xavier Roussel, der ein Verhältnis zu Germaine Rousseau unterhielt.[1]
Mit seiner Malweise klärt Vuillard diese komplizierte Geschichte in seinem Bild aber nicht; vielmehr wird die Narration in ein komplexes Gewebe textiler Muster, räumlicher Kontorsionen und lediglich angedeuteter psychologischer Konstellationen eingefügt. In der frei angelegten Ölskizze ist die inhaltliche Dimension noch stärker der Struktur der auf der Bildfläche entwickelten farblichen Gestaltung untergeordnet.
Bild und Ölskizze Vuillards illustrieren perfekt die Anliegen der Nabis, die unter dem Einfluss einer neuen – stark vom bretonischen Werk Gauguins geprägten – Kunstauffassung standen. Neu sollte Kunst mit ihren formalen Elementen dem Ausdruck der Idee dienen und daher symbolistisch sein, zudem auch synthetisch, subjektiv – und dekorativ. Die Realität, der Illusionismus und das Trompe-l’oeil waren jedoch aus der Kunst zu verbannen.[2]
Vuillard schenkte seine grosse Komposition 1898 seinem Künstlerfreund Félix Vallotton, der von 1892 bis 1899 selber zu den Nabis gehörte, dabei aber eine eigene Position beibehielt und dem flockigen Kolorismus Vuillards und Bonnards klar konturierte Flächen vorzog (wie sie auch seine druckgrafischen Werke stark prägen). Sehr schön zeigen dies zwei gemalte Intérieurs Vallottons von 1898, in denen Vuillards grosses Bild zu sehen ist: «Femme en robe violette sous la lampe» sowie «La chambre rouge» (wo Vuillards Bild im Spiegel, aber nicht seitenverkehrt zu sehen ist).[3] Vallotton entzieht Vuillards Komposition in seinen bei den Bildern die malerische «peinture» des Originals. Er nähert das Gemälde des Freundes seiner eigenen, weit mehr von klaren Umrissen bestimmten Malweise an, wie er sie auf seinen beiden Bildern für die Schilderung der Innenräume verwendet, in denen er Vuillards Werk auftauchen lässt. Während bei Vuillard inhaltliche Narration jeweils nur so weit geht, wie sein flockiger Kolorismus diese tragen kann, ist Vallottons Nabis-Kunst also umgekehrt Narration ohne «peinture». In Vuillards Skizze und Gemälde noch ganz atmosphärisch gestaltet, wird die Komposition in Vallottons verfremdenden Zitierungen dabei in ein kühleres, nun vollends modernes Idiom übersetzt.
[1] Antoine Salomon et Guy Cogeval, Vuillard. Le regard innombrable. Catalogue critique des peintures et pastels, Paris 2003, Bd. I, Nr. IV–214 (Skizze) und IV–215 (Gemälde), S. 346–349. Zu Vuillard insgesamt siehe zuletzt: Édouard Vuillard 1868–1940; hg. von Dieter Schwarz, Ausstellungskatalog Kunstmuseum Winterthur, Winterthur 2014.
[2] Siehe Gabriel-Albert Aurier, «Le symbolisme en peinture: Paul Gauguin», in: Mercure de France, Bd. II, Nr. 15, Paris, März 1891, S. 155–165, hier S. 162 f.
[3] Guy Cogeval, wie Anm. 1, S. 347, zufolge hat Vallotton im erstgenannten Bild einen ersten Zustand von Vuillards Bild gezeigt, den dieser in der zweiten Fassung noch abgemildert hätte.
Philippe Büttner, in: Zürcher Kunstgesellschaft. Jahresbericht 2018
Weitere Titel
Ölskizze zu «Le Grand Intérieur aux six personnages»
Large Interior with Six Figures (Study)
Medium
Öl auf Karton
Dimensionen
Bildmass: 13,4 x 31 cm
Inventarnummer
ZKG.2018/0019
Creditline
Kunsthaus Zürich, 2018
Signatur/Inschrift
bez. u. r. mit Stempel: [Atelier-Stempel E. Vuillard]
Beschriftung
-
Werkverzeichnis
Salomon/Cogeval I.346.IV-214
Zugangsjahr
2018
Provenienz
Edouard Vuillard (*1868 Cuiseaux (Saône-et-Loire), +1940 La Baule) (Künstler/-in)
[Verbleib unbekannt?]
o.D. – 3.4.1990, Max Bangerter (*1911, +1997) (Sammler/-in)
3.4.1990, Christie`s London (Auktion), London, Lot 297
3.4.1990 – 1993, Isy Brachot , Kauf
1993 – 1997, Jan Krugier (*1928 Radom, +2008 Genf) (Sammler/-in)
Verbleib unbekannt
o.D. – 2018, Galerie Rosengart (Galerie), Luzern
ab 2018, Zürcher Kunstgesellschaft | Kunsthaus Zürich (Museum), Zürich, Kauf
Literatur (allgemein)
- Die Nabis. Propheten der Moderne. Pierre Bonnard, Maurice Denis, Henri-Gabriel Ibels, Georges Lacombe, Aristide Maillol, Paul-Elie Ranson, József Rippl-Rónai, Kerr-Xavier Roussel, Paul Sérusier, Félix Vallotton, Jan Verkade, Edouard Vuillard, hrsg. von Claire Frèches-Thory/Ursula Perucchi-Petri, Ausst.-Kat. Kunsthaus Zürich, München: Prestel, 1993, ill. No. 174.1, S. 345.
- Jahresbericht 2018, hrsg. von Zürcher Kunstgesellschaft, Zürich, 2019, S. 49.
- Antoine Salomon/Guy Cogeval: Vuillard. The inexhaustible glance; critical catalogue of paintings and pastels, Bd. 1, Paris; Milano: Wildenstein Institute; Skira [u.a.], 2003, No. IV-214, S. 346 (ill.).
- Philippe Büttner: «Edouard Vuillard. Le Grand Intérieur aux six personnages (étude), 1897», in: Jahresbericht 2018, hrsg. von Zürcher Kunstgesellschaft, Zürich, 2019, S. 20-23.