La Malade

1892

Ausgestellt
Félix Vallotton1865 Lausanne – 1925 Neuilly-sur-Seine, Paris
Es sind 39 Werke von Félix Vallotton online.
Es sind 1716 Malereien online.
In Félix Vallottons zentralem frühen Bild «La Malade» von 1892 gipfeln die ersten zehn Pariser Jahre des 1865 in Lausanne geborenen Künstlers. Das Werk gehört zur Gattung der für Vallotton so wichtigen Interieurs und zeigt ein Dienstbotenzimmer, in dem eine kranke Dienstmagd liegt. Eine Kammerzofe bringt ihr auf einem Tablett eine Tasse Tee. Wie Marina Ducrey erläutert, kann die Entstehung des Bildes zur Hauptsache in die Zeit von Juli bis November 1891 datiert werden, mit einigen finalen Retuschen Anfang 1892.[1] Links auf dem Bild ist von hinten die leicht im Bett aufgerichtete Kranke zu sehen, für die Vallottons damalige Gefährtin Hélène Chatenay das Modell abgab. Sie schaut in Richtung der Hereinkommenden. Neben dem Bett steht ein Beistelltischchen, auf dem der Künstler aus Flaschen, einem Glas und einem Medikamenten-Flakon ein spektakulär gemaltes Stillleben inszeniert hat. Eine der Flaschen zeigt die Spiegelung eines grossen und eines kleinen Fensters, die sich hinter dem Betrachter oder dem Maler befinden müssen, welcher sich aber nicht in ihnen spiegelt. Rechts oberhalb der Kranken ist an der Wand ein Stich zu sehen, der laut Ducrey eine am Salon von 1880 gezeigte Gipsplastik Gustave Dorés mit einer Darstellung der das Christuskind haltenden Madonna zeigt. Hell hebt sich die Madonna auf dem Stich vor dem dunklen Hintergrund ab, der wiederum mit dem hellen Blatt kontrastiert. Die schwarzen Haare der Kranken über deren weissem Nachthemd variieren diesen Kontrast links, während er rechts in der Figur der eintretenden Magd – sie nun umgekehrt mit hellen Haaren über schwarzem Kleid – nochmals in grossem Massstab ausgespielt wird. Der Auftritt der eintretenden Magd hat etwas Theatralisches, sie scheint eine Bühne zu betreten, vor der wir als Betrachter sitzen. Anders als das Bild der gütigen Madonna anregen würde, geht ihr Blick dabei nicht teilnahmsvoll zu der Kranken, von deren Sphäre sie sich als Gesunde abzusetzen scheint, sondern unfokussiert, fast so, wie sie beim Posieren geschaut haben mag, nach vorne. Ducrey verweist auf mögliche Einflüsse Ankers, Liotards und zu Recht vor allem auf jene der alten Holländer, etwa des grossen Interieurspezialisten Pieter de Hooch. Zugleich aber ist dem Bild Vallottons eine Modernität eigen, die sich bei diesen Künstlern so nicht findet. Sie zeigt sich insbesondere in der weggelassenen inhaltlichen Beziehung zwischen den beiden Figuren, mit der Vallotton die fast altmeisterliche Machart des Gemäldes unterläuft. Was sein Bild anbietet, ist keine klassisch genreartige Narration, sondern sind Brüche, nicht Stattfindendes. Kurzum: Auf virtuose Weise lässt der Maler Form und Inhalt sich hier aus den Augen verlieren. Was das Thema der sich emotional nicht verbindenden Figuren angeht, sei daran erinnert, dass zuvor etwa bereits Degas mit seinem Bild «La bouderie» von ca. 1870 und Manet mit seinem «Jardin dʼhiver» von 1879 entzweite Figurenpaare inszeniert hatten; bei ihnen wurde indes stattdessen mehr und mehr die Malerei selber in ihren sichtbaren Strichen als eigenwertige «peinture» zum vereinheitlichenden Inhalt des Bildes. Vallotton hingegen rückt in seinem Bild keine «peinture» um ihrer selbst Willen in Szene. Er beschränkt sich darauf, subtil ein fast altmeisterlich-virtuoses Setting auf eine scheinbar nicht dazu passende, «gebrochene» Narration prallen zu lassen. Als Nächstes sollte sich Vallotton in seinem berühmten Bild «Bain au soir d’été» (ebenfalls Kunsthaus Zürich) im gleichen Jahr einer symbolistischen Malerei annähern, der er dabei allerdings eine ironische, ja fast sarkastische Note verlieh.
Weitere Titel
Die Kranke The Sick Girl
Medium
Öl auf Leinwand
Dimensionen
Bildmass: 73,5 x 100,5 cm
Inventarnummer
VZK.2016/0072
Creditline
Kunsthaus Zürich, Vereinigung Zürcher Kunstfreunde, Legat Dr. H.U. Doerig, mit Unterstützung von Annette Bühler, 2016