Portrait Ernst Scheidegger

um 1959

Alberto Giacometti1901 Borgonovo bei Stampa – 1966 Chur
Es sind 300 Werke von Alberto Giacometti online.
Es sind 1824 Malereien online.
Bis heute prägen Ernst Scheideggers Fotografien und Filme unser Bild Alberto Giacomettis. Die freundschaftliche Verbundenheit mit dem Künstler, den er 1943 als junger Soldat in Maloja kennen gelernt hatte, erlaubte es Scheidegger, sowohl in Paris wie im Bergell zum unauffälligen Zeugen von Giacomettis Schaffens- und Lebenswelt zu werden. Seine ihrem Wesen nach dokumentarischen Fotos des Künstlers verbinden eine unaufgeregte Zeugenschaft mit einem inspirierten Blick, der stark von der klärenden Präsenz des Lichtes lebt. Wie ein Brief Giacomettis von 1957 an seinen New Yorker Galeristen Pierre Matisse zeigt, schätzte der Künstler Scheideggers Arbeit gerade in den Jahren, in denen auch das Porträt entstand, sehr: «[…] il y a un jeune photographe de Zurich Scheidegger qui a fait il y a quelques années beaucoup de photos chez moi des sculptures de l’atelier etc. Il en a fait maintenant un petit livre, il a un éditeur à Zurich, un jeune, qui le publie. Le livre, j’ai vu la maquette, est très très bien et je tiens beaucoup à ce qu’il sorte parce qu’il s’est donné beaucoup de peine, c’est comme un reportage, un peu, mais très particulier.»[1] Giacomettis Porträt Scheideggers konnte aus dessen Nachlass erworben werden. Es entstand Ernst Scheidegger zufolge in zwei Wintern 1958/59 in Stampa; Giacometti hat es frühestens 1961 auf dem Bild selber auf 1959 datiert.[2] Der Dargestellte selber hat den Entstehungsprozess des Bildes wie folgt beschrieben: «Auch ich sass für ihn zwei Winter lang auf einem harten Holzstuhl. Es war nie leicht, für ihn zu posieren. Zwei Meter vom Maler entfernt, durfte ich mich absolut nicht rühren. Seine Augen befragten mich mit grosser Intensität, forderten von mir die gleiche Intensität, als ob ich aktiv an der Arbeit teilhätte – eine seltsame Verbundenheit entstand. […] Über einen Monat sass ich fast täglich Modell. […] Das Bild war auch im darauffolgenden Jahr nicht fertig. Wieder sass ich auf dem unbequemen Stuhl, genau an der alten, am Boden bezeichneten Stelle.»[3] Scheidegger trägt einen Wintermantel und einen Schal, die Hände stecken in den Taschen. Auch seine Haltung mit dem leicht schräg gehaltenen Kopf wirkt unüblich leger. Dazu passt die lichte Farbigkeit des Bildes, die an Aquarellmalerei erinnert. Der Farbauftrag ist zumeist dünn, nur im Bereich des Gesichtes verdichtet sich die Malerei in für Giacometti charakteristischer Weise zu einem sich in Schichten entwickelnden Protokoll seiner Wahrnehmung. Hier verschwindet nun auch alles Beiläufige. Der Fotograf – sonst selber gewohnt, das Sichtbare einzufangen – sitzt reglos da, bemüht, der intensiven künstlerischen Befragung standzuhalten. Ähnlich wie im 1958 entstandenen Bild der immateriell wirkenden Mutter des Künstlers aus dem Besitz der Giacometti-Stiftung (GS 256), scheinen die Lineamente im Hintergrund des Scheidegger-Porträts Elemente einer konkreten Wandstruktur zu evozieren. Anders als in jenem gehen sie in diesem aber nicht in eine gemalte Rahmung der Komposition als Ganzes über. Die unmittelbare Präsenz des Dargestellten wird dadurch noch verstärkt.
Medium
Öl auf Leinwand
Dimensionen
Bildmass: 61 x 50 cm
Inventarnummer
ZKG.2017/0003
Creditline
Kunsthaus Zürich, 2017