L'Éboulement (après l'orage)

1841

Nicht ausgestellt
Alexandre Calame1810 Vevey – 1864 Menton
Es sind 7 Werke von Alexandre Calame online.
Es sind 1824 Malereien online.
Die Malerei von Alexandre Calame (1810 –1864) steht in der Tradition der Romantik. Das Thema der Naturgewalten und der Katastrophen, denen der Mensch schutzlos ausgeliefert ist, fand in der europäischen Alpenmalerei seine kühnsten Formulierungen im Zeichen des Sublimen. Berühmte Beispiele sind de Loutherbourgs «An Avalanche in the Alps»[1] von 1803 und Turners «An Avalanche at the Grisons»,[2] ein Gemälde, das erst zehn Jahre nach Turners ersten Schweizerreise 1812 in London ausgestellt worden war (beide in London, Tate). Es ist bekannt, dass Calame erst spät einen Zugang zur englischen Landschaftsmalerei fand. In einem Brief, den er 1850 aus London schrieb, anerkannte er zwar die Leichtigkeit der Pinselführung und das leuchtende Kolorit seiner englischen Rivalen, monierte aber, dass diese Vorzüge zu häufig auf Kosten der Naturwahrheit erreicht worden seien. Für Calame konnte der Erfolg eines Landschaftsgemäldes nur auf dem soliden Studium der Natur und der alten Meister dauerhaft begründet werden. Von Turners lichttrunkenen, die Abstraktion vorwegnehmenden «ébauches incompréhensibles de sa viellesse»[3] trennten ihn Welten. Gemeinsam war beiden, dass sie von der Landschaftsmalerei, die als führende Gattung im 19. Jahrhundert die Historie ablöste, mehr erwarteten als das wahrheitsgetreue Abbild einer bestimmten Gegend. Ausgerechnet in London präsentierte Calame 1840 die monumentale erste Fassung seines 1839 vollendeten Gemäldes «L’Éboulement» (Der Bergsturz),[4] das er in seinem Genfer Atelier nach Skizzen seiner Reisen ins Berner Oberland ausgeführt hatte. Ein Misserfolg, wie sich bald herausstellte, denn es fand sich kein englischer Käufer. Bereits 1841 wurde dem Gemälde eine begeisterte Aufnahme im Pariser Salon zuteil, wo Calame zwei Jahre zuvor mit «L’Orage à la Handeck» (Der Sturm auf der Handeck) unsterblichen Ruhm erworben hatte. Die Stadt Leipzig kaufte «L’Éboulement» für seine städtische Museumssammlung und veräusserte es 1921 wieder. Seitdem gehört das Gemälde der Gottfried Keller-Stiftung, die es als Depositum dem Alpinen Museum in Bern überreichte (heute im Kunstmuseum Bern). Drei kleinere Fassungen in Öl, eigentlich Varianten, sind bekannt. Jene, die Calame für M. Stouvenel in Genf 1841 ausführte, fand ihren Weg über den Kunsthandel ins Kunsthaus Zürich. Diese in Fachkreisen wegen ihrer malerischen Qualität besonders geschätzte Zürcher Fassung bildet nun in der Gemäldesammlung des Kunsthauses das lange vermisste Bindeglied zwischen den reichhaltigen Beständen an holländischer Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts und den Schweizer Realisten Rudolf Koller, Albert Anker und Robert Zünd. Von Weitem zieht das Bild den Betrachtenden an. Als Reaktion auf die kritischen Stimmen zur ersten Fassung vereinheitlichte Calame das dramatische Helldunkel der Wolkenmassen. Er konzentrierte den Blick auf das Hauptlicht in der linken Bildhälfte und rückte das erzählerische Motiv mit dem Bauernpaar vor der Alphütte näher an den vorderen Bildrand. Dadurch wird der Betrachtende noch unmittelbarer in das Geschehen involviert. Im Gegensatz zur melancholischen ersten Fassung lässt Calame in der Zürcher Version eine andere Dynamik walten, die man mit Valentina Anker als teleologischtranszendental bezeichnen könnte.[5] Waren die Älpler zusammen mit vereinzelten Baumskeletten dort noch erbarmungslos den Elementen ausgesetzt – Steinschlag, stürmischen Böen, Gewitterregen –, die mit alttestamentarischer Wucht eine hochalpine Steinwüste heimsuchten, so umgibt sie hier eine Oase von Grün inmitten der Zerstörung. Man hört förmlich das Nachlassen des Sturms in den Kiefern, die, anstelle der Wettertannen (in der Berner Fassung), den Mittelgrund aufhellen. Diesen Augenblick des Umschlags verkörpert das Bauernpaar auf seiner Rast. Das Entsetzen weicht einer neuen, regenerierenden Sicht auf die Dinge. Die idyllische Urhütte mit dem eingebrochenen Holzdach ruht auf einem ebenso schlichten wie unerschütterlichen Fundament, das Bodenständigkeit, Transparenz und Poesie vereint und damit seine Wirkung auch in unserer Zeit nicht verfehlt.
Weitere Titel
Bergsturz (Nach dem Sturm) Rockslide (After the Storm) L'éboulement [original]
Medium
Öl auf Leinwand
Dimensionen
Bildmass: 118,5 x 177,5 cm
Inventarnummer
2015/0019
Creditline
Kunsthaus Zürich, 2015